Ich weiß nicht wie es euch geht, aber es gab schon mal Zeiten in denen man stolzer auf sein Hobby sein konnte. Auf der Gamescom oder E3 feiert sich die Industrie selbst, und die Fans stehen felsenfest hinter jedem kalkulierten Hype (;¬д¬). Dass es auch anders geht, zeigt Replaying Japan. Eine Konferenz, die sich dem Thema Game Studies mit dem Fokus auf Japan widmet, und 2016 zum ersten Mal in Deutschland stattfand.
Idolmeister: Ich muss mich zunächst bei Dr. Martin Roth bedanken, der uns zu dieser Veranstaltung eingeladen hat. Eines vorweg, ich wusste im Vorfeld nicht wirklich was mich dort erwartet … im Nachhinein fühle ich mich wie ein Schmarotzer, der nur seine Namco Museum Box signieren lassen wollte … I’m just Punk can’t you see ヽ(´~`;). Ich hätte nie gedacht, dass sich eine Universität zur Recherche solche Hardcore-Themen im Bezug auf japanische Videospiele aus allen Epochen herauspickt. Videospiele im Fokus – ohne den kleinsten Hauch vom industriellen AAA Kommerz. Das alleine verdient schon unseren größten Respekt.CIT Seven Force: Besonders erwähnenswert sind natürlich die hochkarätigen (zumindest für Fans japanischer Videospielgeschichte) Gäste, die extra für die Konferenz nach Leipzig gereist sind. Vier Namco-Legenden waren am Start: Pac-Man Erfinder Toru Iwatani, Masanobu Endô (Xevious, The Tower of Druaga), die Chiptunes-Pionierin Junko Ozawa, sowie Yoshihiro Kishimoto (Pac-Land, Baraduke).
Iwatani erläuterte auf witzige Weise in seiner Keynote seine Gamedesign-Philosophie: Er möchte inklusive, gewaltfreie Spiele machen, die jeden ansprechen. Dazu muss der Spieler sofort intuitiv erkennen können, was man in dem Spiel machen muss (in der Tat zeigte er sogar ein Video von einem Schimpansen, der richtig gut Pac-Man zocken konnte).
httpvh://youtu.be/r7ttRaXlnfs
Iwatani erklärte dann, wie diese Philosophie in die Programmierung Pac-Mans einfloss (z.B. die Geister-KI). Interessant: Pac-Man war ursprünglich viel langsamer und wurde nur beschleunigt, damit der Qualitätscheck schneller abgeschlossen werden konnte — dabei stellte das Team fest, dass ein schnelleres Pac-Man viel spaßiger ist!
Ein weiteres Beispiel für Iwatanis Ansatz, den Spieler in ein Spiel hineinzuziehen, war F-1, ein elektromechanisches Rennspiel von Namco, bei dem eine Drehscheibe mit Blechautos mit einer Lampe auf einen Bildschirm projeziert wird.
httpvh://www.youtube.com/watch?v=i1WSYdn1b8I
Idolmeister: Oja! Die eigens dafür hergestellte gebogene Lampe xD. Schade, dass ich kein Bild davon habe. Mit dieser Speziallampe wurde ein realistischer Blickwinkel möglich, der dieses einfach mechanische Spiel doch sehr eindrucksvoll aussehen ließ ヽ(*・ω・).
Seine Philosophie „To make games is to unterstand people‚s minds“ und „My life’s belief: Bring games to everybody“ ist auch die Formel die Nintendo mit der Wii eindrucksvoll umgesetzt hat.
Wer wollte nicht schon mal Iwatanis Haltung zu dem Hollywood Film Pixels wissen? Ich dachte ja schon, dass da so eine „Bill Murray Garfield Geschichte“ kommt. Aber nein, er ist stolz darauf, dass sein Werk immer noch eine Rolle in den Köpfen der Zocker spielt.
CIT Seven Force: Dem gelben Pillenfresser wurde sogar eine eigene Session gewidmet. James Newman von der Bath Spa University untersuchte die Evolution von FAQs und Lösungsbüchern am Beispiel von Pac-Man. Paul Martin von der University of Nottingham verglich die Pac-Man Cartoons, und wies auf verschiedenste Deutungsmöglichkeiten hin: Man könne Pac-Man als eine Art Schlaraffenland-Utopie sehen, in der man ohne Angst vor Konsequenzen oder Kalorien fressen kann, oder als eine Art Albtraum, in dem man gezwungen wird permanent Pharmazeutika zu schlucken und nie aus dem Labyrinth entkommt ~(>_<~). Am positivsten überrascht hat mich jedoch der Vortrag von Jaakko Suominen der Universität Turku, der historische Forschung zur Geschichte des Pac-Man-Booms in Finnland betreibt. Welche Quellen kann man hier überhaupt nutzen, um gesicherte Aussagen machen zu können? Suominen griff zum Beispiel auf Statistiken des finnischen Zolls zur Einfuhr von Videospielautomaten aus Japan zurück, die interessante Rückschlüsse erlauben.
Klar, wenn es um japanische Videospiele geht, fällt auch schnell das Stichwort JRPG. Dieses Genre stand im Mittelpunkt einer anderen Session. Doch welche Aussagekraft hat der Begriff „JRPG“ überhaupt?
Idolmeister: Das Panel “Very much like any other Japanese RPG you’ve ever played” von Jérémie Pelletier-Gagnon (University of Alberta) befasste sich genau mit diesem Thema. Ein Genre über das wir schon lange nicht mehr nachdenken. Doch was hat es definiert, und für was steht jetzt? Das Wort JRPG wurde passenderweise das erste Mal 2003 genannt, um Tales of Symphonia zu umschreiben (n˘v˘•)¬. Und auch heute ist Tales die Spielreihe geblieben, welche am meisten mit JRPGs in Verbindung gebracht wird. Es wurde aber ebenso erörtert, wann dieses Genre einen negativen Beigeschmack bekommen hat, und daher heute oft mit der Innovationslosigkeit der japanischen Spieleindustrie gleichgesetzt wird.
CIT Seven Force: Im Keynote von Junko Ozawa drehte sich alles um frühe Videospielemusik. Namco war in den 80ern in Bezug auf Sound-Hardware all seinen Konkurrenten voraus und Ozawa schuf mit den Soundtracks für The Tower of Druaga, Dig Dug II, Sky Kid, Toy Pop und Rolling Thunder die Grundlage für Chip-generierte Musik.
Idolmeister: Vor Ozawa den 1,5 Sekunden Xevious Sound Loop oder die Intros von Donkey Kong und Pac-Man als Musik zu bezeichen ist fraglich (^~^).
CIT Seven Force: Heute unvorstellbar, aber die Klangwellen mussten damals noch komplett in Assembly geschrieben werden und erst per Hand auf ein Eprom gebrannt werden, bis man überhaupt etwas zu hören bekam. Dabei befand man sich in einem ständigen Kampf gegen den limitierten Speicherplatz und den nahenden Liefertermin. Um Tonkanäle zu sparen wurde bei den Soundeffekten von Druaga einfach getrickst: Eine kleine Tonfolge wurde in zwölffacher Geschwindigkeit abgespielt, sodass es wie das Klirren eines Schwertes klingt!
Idolmeister: Es wurden auch Aufnahmen von dem ersten Live Videospielkonzert der Geschichte gezeigt, bei welchen Junko Ozowa keine unwichtige Rolle gespielt hat. Nicht weniger wichtige Pionierarbeit war auch der erste Soundtrack, der als LP zu einem Videospiel kommerziel verkauft wurde.
CIT Seven Force: Zu guter letzt stellte Ozawa ihre Synthesizer App Kamata (http://gadget.korg.com/kamata/index_en.php) vor, mit welcher man alle Namco-Klangwellen nutzen kann, um eigene Stücke zu komponieren.
Idolmeister: Zu einer Publikumsfrage was denn ihr Soundtrack sei auf den sie selbst am stolzesten ist, antwortete sie ohne groß zu überlegen: Klonoa. Schon Wahnsinn, wie weit wir vom simplen Druaga zu einem so komplexen und wunderschönen Soundtrack wie Klonoa gekommen sind. Und wenn ich das mal so sagen darf, wenn man an Videospielmusik denkt im reinsten Sinne, schwimmt Klonoa wirklich ganz weit vorne mit (ノ´ー`)ノ.
httpvh://www.youtube.com/watch?v=_OCa_nGHD4M
CIT Seven Force: Die Session „Para-Gaming“ widmete sich verschiedenen Schnittmengen von Videospielen mit anderen kulturellen Bereichen. Keiji Amano (Seijô Universität) untersuchte die sich wandelnde Darstellung von Pachinko in japanischen Filmen und Literatur. Wurde es in den 50ern und 60ern noch als unbeschwerter Zeitvertreib gesehen, überwiegt nun die Assoziation mit Spielsucht und organisiertem Verbrechen.
Cäcilia Sauer (Universität Leipzig) analysierte en detail Motive der europäischen Oper in Final Fantasy VI.
Melanie Fritsch (Universität Bayreuth) verfolgte den Einfluss japanischer Videospielemusik auf westliche Popmusik.
Idolmeister: Beide der Panels die sich auf die Musik in Videospielen, sowie den Einfluß auf „normale“ Musik von Games bezieht waren sehr aufschlußreich, und gaben viele Denkanstöße über die ich zumindest zuvor noch keinen Gedanken verschwendet hatte (´▽`)ノ♪
Idolmeister: Die dritte Keynote gab Masanobu Endô zum Besten. In einem sehr witzigen und informativen Vortrag plauderte der Vater von Xevious und The Tower of Druaga aus dem Nähkästchen, UND das sogar ohne Dolmetscher selbst auf Englisch.
CIT Seven Force: Endô erklärte am Beispiel von Xevious und Druaga, wie man trotz der begrenzten Möglichkeiten der Hardware eine lebendige Spielewelt erschaffen konnte, bei der man das Gefühl hat wirklich in einer anderen Welt zu sein. Mysteriöse Geoglyphen und pulsierende Lichter an den Gegnern geben dem Spieler das Gefühl, dass hinter der Spielwelt mehr steckt, als das, was man sieht. Für die Namen der Gegner dachte sich Endô sogar eine eigene Sprache aus.
Idolmeister: Endô war wohl auch einer der größten Otaku auf dem Unigelände xD. Mehr als einmal hat er erwähnt, dass er selbst an Chuu-ni-byou „leidet“ und zählte minutenlang Gundam Roboter auf. Gatchaman und Ideon zählen ebenfalls zu seinen Favoriten.
Die Elemente, die zum Welterfolg von Xevious beitrugen, waren unter anderem, dass es nicht wie jeder andere Shooter im Weltraum spielte, der metallische realistische Look der Feinde (der mit nur 4 Farben bewerkstelligt wurde), und die Langzeitmotivation durch versteckte Secrets.
CIT Seven Force: Endô beschrieb auch die „Iwatani-Methode“, um sich coole Titel für Spiele auszudenken. G, D, R und B seien cooler als andere Buchstaben, ergo Galaga, Grobda, Gaplus, usw. Und Xevious (was übrigens „der vierte von sechs Sternen“ bedeuten soll) sei so cool, weil es „wie Möbius“ klingt. (⊙_☉) Wie wir im privaten Gespräch noch erfuhren, enstand der Labelname für Namcos Konsolenspiele, Namcot, auch mithilfe der Iwatani-Methode: Das „T“ klinge wie „pet“ oder „mascot“, also eben kleine Spiele für zur Hause, statt den „großen“ für die Arcade. Endlich ist dieses Mysterium also auch geklärt! XD
Idolmeister: Des Weiteren wurde kein großer Hehl daraus gemacht, dass eigentlich jegliche feindlichen Raumschiffe aus Filmen wie Battle Star Galactica, Thunder Birds oder Star Wars „geborgt“ wurden. Auch solche Sachen, die mir noch nie in den Sinn gekommen sind: Die unzerstörbaren Metalplatten erinnern nicht nur aus Versehen an den schwarzen Monolith aus 2001. Und nein, die Urban Legend, dass, wenn man diese unzerstörbaren Metallplatten 256 mal trifft, sie dann doch eliminiert werden können, ist falsch ψ(`∇´)ψ.
CIT Seven Force: Ähnlich bei Tower of Druaga: Endô erklärte, er habe sich Anfang der 80er das Dungeons & Dragons Basisregelbuch gekauft, und zwar kein Wort verstanden, aber trotzdem das Potential darin erkannt, in Anlehnung an die D&D Figuren eine Spielwelt zu erschaffen. The Tower of Druaga, wurde bewusst mit einem endenden Handlungsstrang konzipiert, um zu verhindern, dass Spielecracks stundenlang einen Automaten besetzen, wie bei Galaga oder Pac-Man ;). Dafür lebt das Spiel stark von den vielen, extrem obskuren Secrets. Faszinierend: In der Prä-Internet-Zeit lagen in japanischen Spielhallen Hefte rum (sog. „Game Notes“), in denen die Spieler sich ähnlich einem Internetforum über Tipps & Tricks austauschten.
Idolmeister: Die Idee zu Druaga kam Endô von dem Intellivison Spiel Advanced Dungeons & Dragons, dem Ur-RPG Wizardry, der Faszination den Turm zu Babel zu erklimmen und Namcos selbst entworfenem Real-Life Roboter-Labyrinth …. WTF o_O. In diesem Irrgarten war dann sogar eine kleine Polizei–Maus der Star, die in naher Zukunft auch mal ein Arcade Spiel bekommen würde ;).
Wir wissen wie einflußreich Druaga auf The Legend of Zelda sowie sämtliche Action-RPGs danach war, aber die vielen kleinen Details, die ohne Vorbild kreiert wurden, sind nach wie vor beeindruckend. Das erste Spiel mit Ausrüstung, welches einen optischen Unterschied macht, der Bezug auf mythische Helden, und das Ziel ist nicht ein Highscore sondern die Story zu beenden.
CIT Seven Force: In der Themengruppe History/Preservation stellte Yoshihiro Kishimoto sein Projekt vor. Der Ex-Namco Mann möchte mündliche Überlieferungen zur japanischen Arcade-Geschichte für die Nachwelt aufzeichnen. Insbesondere zu weniger bekannten Spielen. Hierzu lädt er Entwickler zu einem privaten Gespräch ein, in welchem sie über die Entstehungsgeschichte eines Spiel berichten. Da viele Game-Designer auch heute noch an Verschwiegenheitserklärungen gebunden sind, wird die Aufzeichnung im Zweifelsfall so lange unter Verschluss gehalten, bis der Vertrag nicht mehr gilt. In einer zweiten Runde werden die Entwickler dann mit Fans des Spiels zusammengebracht. Das erste Spiel in diesem „Oral History“ Projekt war Kishimotos eigenes Baraduke (1985), dessen von Alien inspirierte Spielwelt und, in Anlehnung an Nausicaä of the Valley of the Wind entstandene, weibliche Hauptfigur maßgeblich Metroid (1986) beeinflusste.
Idolmeister: Das ist leider schon ein großer Teil der Namco Legacy. Ich muss auch zugeben, dass mir vorher Kishimoto kein Begriff war. Baraduke und Pac-Land waren die Blaupausen zu Metroid und Super Mario. Doch heute wird nur Samus Aran als die „erste“ weibliche Heldin in einem Videospiel gefeiert (;-_-)/. Wenn wir gerade schon bei den Bounty–Hunterinnen sind: Wir haben auch erfahren, dass Junko Ozawa ihre Stimme für die Sprachausgabe in Baraduke geliehen hatte.
Außerdem befassten sich Maria B. Garda & Paweł Grabarczyk von der Universität Łódź mit dem Einfluß japanischer Doujin Spiele auf die westlichen Indie-Mega-Hits. Welche Puzzlestücke aus La-Mulana oder Cave Story haben Indies wie Spelunky und Fez zum finanziellen Erfolg gepusht?
CIT Seven Force: Interessant ist auch die Frage: Was ist Indie überhaupt? Und wie unterscheidet sich Indie von Doujin? Garda und Grabarczyk argumentieren, dass nicht die vermeintlich offensichtlichen Eigenschaften, wie unabhängige Produktion oder kreative Freiheit maßgebend sind, sondern Kontingenteigenschaften, wie Distributionsart, grafischer Style, Marketing, usw.
Kazufumi Fukuda von der Ritsumeikan Universität stellte ein Datenbankmodell für die Archivierung von Videospielen vor. Wie können Spiele systematisch und standardisiert kategorisiert werden (beispielsweise für Bibliotheken oder institutionelle Sammlungen)? Welche Daten über die Spiele müssen hierfür erfasst werden? Eine extrem wichtige Frage, auf die es noch keine endgültige Antwort gibt.
Idolmeister: In den Short Paper Sessions ging es nicht um ein durchgehendes Thema, was aber nicht minder aufschlußreich war.
CIT Seven Force: Seiki Okude (Ritsumeikan Universität), der Programmierer von Fire Emblem: Seisen no Keifu und Nintendos Game Boy Geheimtipp Kaeru no tame ni kane wa naru, sowie den Psikyo Shootern Strikers 1945, Gunbird und Sengoku Blade, und heute Informatik-Professor, zeigte wie er Studenten das Coden mit C# beibringt: Natürlich indem man als erstes die Bullet-Patterns eines Shmup-Bosses programmiert! \m/…(>.<)…\m/
Klasse war auch unser persönliches Gespräch mit Prof. Okude, der sichtlich berührt war, dass jemand außerhalb Japans seine Spiele kennt. Aber wir wissen natürlich was rockt! \\ ٩( ᐛ )و //
Idolmeister: Sarah Christina Ganzon (Concordia Universität) zeigte mit ihren Vortrag Free Love einen tiefen Einblick in die stark wachsende westliche Otome Szene. Kategorien eines Otome Games, aber auch kontroverse Themen wie Piracy und Fan-Übersetzungen kamen nicht zu kurz (´ε` )♡.
CIT Seven Force: Shôsaku Takeda der Ritsumeikan Universität stellte vor, wie er mit seinen Stundenten eine Visual Novel entwirft, und wie im Vergleich zum reinen Text andere Höhepunkte geschaffen werden müssen.
Idolmeister: Wenn wir bei den Visual Novels kurz verweilen wollen, so zeigte Ernest dit Alban Edmond (Concordia Universität) am Beispiel vom Umineko no naku koro ni auf, wie ein sehr gutes Produkt zur falschen Zeit ohne die richtige Zielgruppe erschien und daher leider der verdiente Erfolg ausblieb. Auch zeigte seine Theorie auf, wie die Otome Zockerinnen langsam ihren männlichen Gegenspielern das Wasser abgraben, und wie die Merchandise Industrie ebenso darauf reagiert.
Parallel wurde von James Newman ein Vortrag über Kaizo Game Design gehalten und wie Mario Maker die Fan-Szene in ein kommerzielles Produkt verwandelt hat. Mario Makers Erfolg ist auch Twitch geschuldet, wo es sich immer noch wacker, als einer der ganz wenigen „normalen“ Spiele, in den Charts schlägt. Das Fehlen von Platformen wie Twitch & Youtube war auch das Hauptproblem wieso sich andere Nintendo-Werke mit Editoren nicht etablieren konnten.
CIT Seven Force: Eine tolle Keynote zum Thema Lokalisierung lieferte Minako O’Hagan von der Dublin City University ab. Nachdem sie einen Überblick über die nur wenig glorreiche Geschichte der Videospiellokalisierung gab, erläuterte sie Feinheiten der Übersetzungsarbeit, sowie neue Technologien, wie Translation Memory und empirische Methoden, wie Eye-Tracking, um die Lokalisierungsqualität zu ermitteln.
Und am Beispiel von Fire Emblem Fates zeigte sie, welche Fallstricke im interkulturellen Kontext enstehen können.
Idolmeister: An dem im Westen kürzlich erschienen Fire Emblem Fates zeigte sie eindrucksvoll auf, welche Macht die Fans in Zeiten von Social Media haben. Im Falle von Fates ging der Shitstorm schon kurz nach dem japanischen Release los, lange bevor eine lokalisierte Version überhaupt angekündigt war ヘ(>_<ヘ). O’Hagan erklärte auch im Kontext das viel diskutierte Touch-Minispiel, welches der Schere zum Opfer gefallen ist. In Japan sollte dieses Touch-Game die Bindung von der Mutter zu ihren Kindern stärken. Diese Geste ist in der japanischen Kultur verwurzelt und stellt nichts verwerfliches dar. Doch war es nicht möglich, nachdem große Webseiten dieses Thema aufgeschnappt hatten, es nicht mehr als anstößig zu interpretieren. Nintendo blieb nichts übrig als das Element zu entfernen. In Sachen Zensur und Veränderung von bestimmten Inhalten spielt die Vorberichtserstattung durch einzelne Fans inwischen eine große Rolle.
Was zum nächsten Problem führt, dass sich die Fans durch das fertige, lokalisierte Produkt verraten fühlen, und sich schnell zum Boykott zusammentrommeln. Diese laut schreienden Hardcore-Fans sind wohl oder übel die Stimmen, welche nie zu überhören sind. Deswegen war es gerade so interessant mal zu sehen wie echte Spiellokalisation funktioniert. Viele rümpfen gleich die Nase, wenn ein Satz nicht originalgetreu übersetzt wird, doch am Beispiel von Final Fantasy X zeigte O’Hagan wieso das oft keinen Sinn macht. In einer bekannten Zeile wurde „Thank you“ durch ein „I love you“ ersetzt. Hört sich erstmal nach einer sehr fragwürdigen Translation an, ist es aber ganz und gar nicht. Niemand würde in diesem Zusammenhang „Thank you„ im Englischen sagen. Doch es geht noch weiter, FFX hat in dieser Szene auch Sprachausgabe und diese sollte natürlich Lippensynchron sein. Da ist dann ein „I love you„ viel näher an dem japanischen „Arigatô„. Also überlegt doch mal eine Sekunde bevor ihr das nächste mal einen Shitstorm lostreten wollt, weil eine Kleinigkeit nicht dem Original entspricht.
CIT Seven Force: O’Hagan zeigte auch an zwei Beispielen, der westlichen Version von Ni no kuni, und der japanischen Version von Crash Bandicoot, wie ausgezeichnete Lokalisierungsarbeit den Erfolg der Spiele sicherstellen konnte. Schade, dass die Spielelokalisierung teilweise immer noch sehr stiefmütterlich behandelt wird, und die harte Arbeit, die dahinter steckt, oft nicht richtig gewürdigt wird.
Idolmeister: Im Anschluss an das Thema gab es noch eine offene Runde mit zwei Gästen aus der Spielelokalisierung. Daniel Finck und Christoph Neubauer sind beide für die Lokalisations-Qualitätskontrolle zuständig, doch könnte ihre Arbeit nicht verschiedener sein. Der eine arbeitet für Sony, unter anderem an Uncharted 4, wo Geld keine Rolle spielt. Der andere hat zwar auch schon große Spiele lokalisiert, arbeitet aber hauptsächlich an deutschen Versionen von chinesischen Free-2-Play Smartphone-Games.CIT Seven Force: Um ganz kurz bei der Spieleentwicklung zu bleiben: In den Pausen und beim Abendbuffet gab es natürlich auch Gelegenheit selbst Hand anzulegen. Neben neuen Interaktionsansätzen, wie VR-Bogenschießen und räumlicher Darstellung in Augmented Reality, mit mehreren sich überlappenden Geräten, gab es auch die spielbare Beta für ein nettes Cute ‚em up, AlexG Infinity. Für ein 1-Mann-Projekt sieht das unserer Meinung nach weit besser aus, als 90% aller Android Games. Wir wünschen Nathan Tan jedenfalls viel Erfolg mit dem Projekt auf der Xbone!
httpvh://www.youtube.com/watch?v=cxWk8Wb0FdI
Idolmeister: Sehr charmant war auch der Vortrag „Construction of Female Corporeality in Rune Factory Frontier – Patterns of a Local and Global Discourse about the Female Body“ von Sebastian Sabas von der Heinrich Heine Universität. Im Vorfeld hatte ich da auch nur ein riesiges WTF in meinem Hirn: „Zerbricht sich da tatsächlich jemand den Kopf über ein so unbekanntes Nintendo DS Spiel?!“. Aber genau wegen dieser kleinen Beiträge werden ich die Konferenz noch sehr lange in guter Erinnerung halten. In dem Rune Factory Teil ist es wie in vielen Harvest Moon Teilen möglich eine Freundin zu finden und später zu heiraten. Sebastian ist auf die verschieden Typen von Mädels eingegangen, aber das jetzt nicht in der leider üblichen Social Justice Warrior Manier sondern, sehr positiv und informativ. Ich wünschte mir das Internet könnte sich hiervon eine Scheibe abschneiden.
Selen Çalik hatte ihr Panel über „Reflections of Gaming Practices across Japanese Pop-Cultural Media„ aufgrund der Ereignisse in der Türkei etwas umgestrickt. Sie begann wie Praktiken in Videospielen anhand von GTA den Weg in echte Aufstände fanden. Der eigentliche Beitrag widmete sich dann der anderen Seite, und wie Anime Serien à la Sword Art Online ihren Erfolg daraus ziehen, dass sie sich die geliebten Hobbies oder den N.E.E.T.-Lifestyle der Konsumenten zum Nutzen machen.
Der letzte Tag befasste sich im Großteil mit düsteren Themen. Das Leiden im positivsten Sinne ging das Panel von Marc Bonner (Universität Köln) an. In „‘Metroidvania’ As Japanese Take On (Semi‑)Open World Game Design„ zeigte er die Ursprünge des Leveldesigns der Hardcore Action-Adventure Dark Souls und Bloodborne auf. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Super Metroid und Castlevania: Symphony of the Night einen enormen Einfluss auf From Softwares beliebte Spieleserie hatte. Des Weiteren tat es auch mal gut ein Schiller Zitat in Verbindung mit einem aktuellen Spiel zu hören. Genau dieser Blick fehlt leider vielen Leuten, die im Spielejournalismus einen mächtigen Einfluss haben.
Eine Thematik die fast totgeschwiegen wird sind die Arbeitsbedingungen und das Ansehen von Frauen in der japanischen Videospielindustrie. Diesem heiklen Thema hat sich Mimi Okabe (University of Alberta) mit ihrer Präsentation „Harnessing the Power of Persuasion: Strategies towards Increasing Women’s Participation in Japan’s Game Industry„ angenommen. Gut recherchiert zeigte sie an Beispielen ein Problem auf, dass in der Öffentlichkeit nicht zu existieren scheint. Der aktuelle Anime New Game, welcher den Alltag eines nur aus Mädels bestehendes Spielestudios darstellt, bleibt wohl in der Realität nur Wunschdenken.
CIT Seven Force: Um den harten Arbeitsalltag in der Spielebranche ging es auch in dem Vortrag „Dark side of the sun: A controversial examination of the underworld of the Japanese video game industry“ von John Szczepaniak, Redakteur bei HG101 und Autor der absolut empfehlenswerten Buchreihe „The Untold History of Japanese Game Developers“ (http://www.hardcoregaming101.net/japandvd/japandvd.htm). Szczepaniak hat für die Recherche zu seinen Büchern mit zahlreichen japanischen Spieleentwicklern gesprochen, die teilweise von erschreckenden, ausbeuterischen Arbeitsbedingungen berichteten. So sei es bei manchen Firmen üblich gewesen die Entwickler einzusperren, wenn ein Spiel fertig werden musste. Diese hätten dann auch mal mehrere Nächte lang, bis hin zur totalen physischen Erschöpfung, durchgearbeitet. Angestellte, die man zum kündigen „überreden“ wollte, seien hingegen in leere „Isolations“-Räume ohne Tätigkeit versetzt worden, um sie psychisch zu zermürben (u.a. Gegenstand einer erfolgreichen Klage früherer Mitarbeiter gegen Sega im Jahr 2000). In manchen Unternehmen seien Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten sogar körperlich misshandelt worden, so z.B. im schon lange nicht mehr bestehenden PC-88-Entwicklungshaus Zainsoft, dem auch Verbindungen zur Yakuza nachgesagt wurden.
Gerade wegen der Nähe des Arcade-Geschäfts zum Automatenglücksspiel und anderen Bereichen der Erwachsenenunterhaltung bestünden bei vielen Firmen, wie auch immer geartete Verbindungen zur Unterwelt. Zum Teil hätten diese Kontakte sogar erst den Höhenflug der Spieleindustrie ermöglicht, da über diese Kanäle Startkapital verfügbar gewesen sei. Andererseits sei in der Frühzeit digitaler Immaterialgüter die Schutzgelderpressung von Arcades (offenbar von Toaplan eingesetzt), die einzig wirksame Methode zum Schutz geistiger Eigentumsrechte gegen Bootlegs gewesen.
CIT Seven Force: Ich hoffe jedenfalls, wir konnten allen Daheimgebliebenen mit diesem Blogpost einen kleinen Überblick über die Vielfalt der japanischen Game-Studies geben. Mich hat es jedenfalls überrascht, wie interdisziplinär in diesem Feld gearbeitet wird. Von Kulturforschern und Informatikern bis Historikern und Bibliothekswissenschaftlern war hier eigentlich die gesamte Bandbreite vertreten. Da wir natürlich selbst gerne, u.a. in unseren Podcasts, so tief wie möglich in die Materie einsteigen und Zusammenhänge, Hintergründe und Einflüsse verstehen wollen, war es extrem spannend für uns zu sehen, wie in dem Bereich recherchiert wird und welche Fragestellungen es gibt. Wir freuen uns jedenfalls schon, wenn Replaying Japan in ein paar Jahren hoffentlich wieder Halt in Leipzig macht.
Idolmeister: Damn right! Diese 3 Tage haben mein Leben als Zocker, Sammler und Hobby-Videogame-Historiker wirklich bereichert. Das sind Dinge, welche in Gold nicht aufzuwiegen sind. Alleine schon so Kleinigkeiten, wie die Erläuterung der Oper aus Final Fantasy VI, sodass ein verdammt gutes Games beim nächsten durchzocken noch besser wird. Das stellt dann auch den Teil dieser Konferenz dar, der mir die Hoffnung zurück gibt, den mir die Industrie und die Social-Media-Kanäle genommen haben. Videospiele sind mehr als ein AAA-Ubisoft-Spiel à la The Divison. Welche im Vorfeld als bestes Spiel abgefeiert werden, und 4 Monate später ist ihre Existenz vergessen. Mehr als Retrofans, die sich einigeln zu allem was ihre Nostalgie ankratzen könnte. Mehr als die Schreie von No-Man-Sky-Fanboys, die durch unerfüllte Erwartungen an ein Spiel ihr Leben zerstört sehen. Nein, auf der Replaying Japan wurde darüber berichtet warum Videospiele in all ihren Facetten in der Vergangenheit wichtig waren und immer noch sind. Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten noch einmal herzlich bedanken.
Einen weiteren Beitrag von zur Replaying Japan gibt es von den Kollegen von
schraeg lesen unter: Ein wissenschaftlicher Sonderling
Teil 1 & Teil 2.
Wenn ihr mehr über den Organisator Dr. Martin Roth und sein Projekt JGames (Japanese Videogames Research Initiative) erfahren wollt, dann checkt doch unseren Podcast über Videospiele als Kulturgut KLICK
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